Wenn Du in eine Situation von Racial Profiling gerätst, gilt es zunächst Ruhe zu bewahren. Je nach gesellschaftlicher Positionierung haben auch Zeug*innen Betroffenheiten und wer betroffen oder beobachtend ist, ist oft nicht klar trennbar und immer situationsabhängig. Daher denkt stets daran, dass niemand gezwungen ist, sich selbst durch Einschreiten in Gefahr zu bringen!
Empfehlungen für Personen, die selbst Racial Profiling oder rassistische Polizeigewalt erfahren:
Leider müssen wir uns als Betroffene immer bewusst darüber sein, dass die Polizei, selbst wenn wir unsere Rechte kennen, immer am längeren Hebel sitzt. Sie sind wahrscheinlich mehr Personen in der Situation und auch wenn wir ihre Handlungen später mit Zeug*innen anzeigen, stehen unsere Chancen zu gewinnen deprimierend schlecht. Daher ist es gut, wenn du deine Rechte kennst, auf sie zu beharren bedeutet aber nicht gleich ein gewaltfreies Ende der Situation. Vielmehr müssen wir uns organisieren und zusammenschließen, die Machtverhältnisse verändern, um Racial Profiling und rassistische Polizeigewalt als Ganzes zu denormalisieren und abzuschaffen.
Wenn du dich also als Betroffene*r in der Situation befindest, beachte folgende Punkte:
1. Sprich gezielt mögliche Zeug*innen an. Nenn ihnen deinen Namen und deine Telefonnummer oder E-Mailadresse mit der Bitte, dass sie dich später kontaktieren.
2. Frage die Beamt*innen nach ihren Namen oder Dienstnummern
3. Bei einer Festnahme bist Du lediglich verpflichtet, einige Angaben zu deiner Person zu machen: Name, Geburtsdatum und -Ort, Staatsangehörigkeit, Familienstand, Meldeadresse Mach keine weitere Angaben oder Aussagen: »Dazu mache ich keine Angaben und ich bin auch nicht verpflichtet dazu.«(Wenn Dir trotzdem weiter Fragen gestellt werden, kannst Du auch die Angaben zu deiner Person immer und immer wiederholen. Das hilft, sich nicht in ein Gespräch verwickeln zu lassen, denn jedes Gespräch ist eine Aussage und kann gegen Dich oder andere verwendet werden.)
4. Du hast das Recht nach der Festnahme ein*e Anwält*in anzurufen. Jedes Bundesland hat einen Strafverteidiger*innen-Notdienst. Als Beschuldigte*r hast Du das Recht jede Aussage zu verweigern, sowohl vor der Polizei als auch bei der Staatsanwaltschaft und vor Gericht!
5. Lass dich nicht einschüchtern – egal was die Beamt*innen Dir sagen! Glaube ihnen nicht, wenn sie Dir Drohungen machen und unterschreibe keine Aussage! Falls Sachen von Dir beschlagnahmt werden, bestehe auf ein Protokoll, das Dir ausgehändigt wird, aber unterschreibe es nicht!
6. Wenn Du nicht freigelassen wirst, wirst Du der*dem Haftrichter*in vorgeführt oder es gibt ein Schnellverfahren. Das muss bis spätestens Mitternacht des nächsten Tages nach der Festnahme passieren. Falls nötig hast Du das Recht auf eine*n Dolmetscher*in. Bestehe darauf!
7. Mache keine Aussagen: »Ich mache keine Aussage!« Alles kann gegen Dich verwendet werden. Achtung: Jedes Gespräch mit Polizist*innen ist eine Aussage, selbst wenn sie Dir etwas anderes sagen! Was zu deinen Gunsten wäre, kannst Du später noch nach Absprache mit eine*r Anwält*in aussagen. Illegalisierte Personen können direkt in Abschiebehaft genommen werden. Auch dann hast Du das Recht eine*n Anwält*in anzurufen.
Nach der Situation:
8. Wenn Du geschlagen oder misshandelt wurdest, gehe sofort nach der Freilassung zu eine*r Ärzt*in. Fotografiere sichtbare Verletzungen und lass Dir ein ärztliches Attest ausstellen!
9. Wenn du Fragen hast oder Unterstützung brauchst, melde Dich bei polizeikritischen Initiativen (siehe unten: Initiativen in deiner Nähe). Auch wenn Du keine Anzeige erstatten willst, ist es wichtig, über das Erlebte zu sprechen. Wir können den Fall auch dokumentieren – gerne anonym.
10. Schreib ein Gedächtnisprotokoll deiner Erfahrung!
11. Darin sollten folgende Punkte enthalten sein: Ort und Zeitpunkt, Personenbeschreibungen der Polizist*innen und weiteren Involvierten, alle Handlungen insbesondere Gewalt und rassistische Beleidigungen, Kontakte zu Zeug*innen, Namen der Beamt*innen, Autonummern oder Kennzeichen der Polizeiwagen. Schreib alles so genau und detailliert auf, wie Du kannst. Das ist zwar sehr anstrengend, kann aber in einem Gerichtsverfahren, das oftmals erst Monate oder Jahre später stattfindet, den entscheidenden Unterschied machen.
Vergiss nicht: Du bist nicht allein mit deinen Erfahrungen! Wir stehen füreinander ein! Wir achten aufeinander!
Handlungsempfehlungen für Zeug*innen von Racial Profiling:
Grundsätzlich gilt: Es geht nicht in erster Linie darum, mit der Polizei zu diskutieren oder den eigenen politischen Standpunkt auszudrücken. Der Maßstab ist nicht, die Kontrolle zu verhindern, sondern die Betroffenen zu unterstützen! Das Ziel ist die Denormalisierung von Racial Profiling und seine Abschaffung!
- Die Beamt*innen wütend machen, ist meist schlecht für die Betroffenen.
- Die betroffene(n) Person(en) ist/sind nicht verpflichtet Widerstand zu leisten!
- Rufe Dir ins Bewusstsein, dass es immer in erster Linie um die Betroffenen geht und nimm Dich selbst zurück!
- Sei Dir über deine eigenen Privilegien oder Nicht-Privilegien bewusst.
Nicht alle Menschen haben dieselben Voraussetzungen und können ihre Solidarität und Unterstützung unterschiedlich nach ihren Möglichkeiten angepasst ausdrücken. Wenn Du mit einer Gruppe unterwegs bist, sprecht euch ab wie ihr mit der Racial Profiling Situation umgehen könnt. Vergesst nicht, dass je nach gesellschaftlicher Positionierung die Grenzen zwischen Betroffenen und Beobachtenden fließend sein können. Als Zeug*in ist zunächst das Wichtigste, nur so zu handeln, wie es die betroffene Person es will. Das bedeutet, vor einer möglichen Intervention immer zu kommunizieren.
Nun unsere Handlungsempfehlungen für Zeug*innen von Racial Profiling und rassistischer Polizeigewalt:
1. Stell dich den Betroffenen als Zeug*in vor. Du kannst bereits vor Ort die Polizei auffordern, Dich als Zeug*in aufzunehmen.
2.Frag die Polizist*innen nach ihren Namen, nach dem Namen der Einsatzleitung und dem zuständigen Revier.
3. Sprich umstehende oder vorbeigehende Personen an und fordere sie auf, stehenzubleiben und sich als Zeug*innen anzubieten.
4. Wenn du das Gefühl hast es kommt zu Gewalt filme oder fotografiere die Situation. Hierbei ist wichtig, dass du genügend Abstand hältst, so dass du „die polizeiliche Maßnahme“ nicht störst und „das gesprochene Wort“ nicht aufnimmst. Veröffentliche nichts was die Betroffenen oder Dich belasten könnte und sowieso nichts ohne ihr Einverständnis. Da es sich beim Filmen und Fotografieren um eine Grauzone handelt, kann es sein, dass die Polizei dich versucht einzuschüchtern oder droht das Handy weg zu nehmen. Sie versuchen in den meisten Fällen dich abzuhalten. Bleib höflich und verweise darauf, dass du „die polizeiliche Maßnahme“ nicht störst und „die Vertraulichkeit des Wortes“ nicht verletzt. Für den Fall, dass dich die Polizei auffordert das Material zu löschen, benutze am besten eine Cloud. Nahaufnahmen von Gesichtern sind nicht erlaubt!
5. Falls Betroffene abgeführt werden, diese nach ihren Namen und Telefonnummern fragen, die eigene Nummer anbieten
Nach der Situation:
6. Sprich mit der/den betroffene(n) Person(en), biete Dich nochmal als Zeug*in an und gib ihr/ihnen deinen Kontakt.
7. Übergebe Videos oder Fotos an die Betroffenen oder ihre Anwält*innen.
8. Schreibe ein Gedächtnisprotokoll deiner Beobachtungen! Darin sollten folgende Punkte enthalten sein: Ort und Zeitpunkt, Personenbeschreibungen der Polizist*innen und weiteren Involvierten, alle Handlungen insbesondere Gewalt und rassistische Beleidigungen, Kontakte zu Zeug*innen, Namen der Beamt*innen, Autonummern oder Kennzeichen der Polizeiwagen.
9. Auch von Zeug*innen kann die Polizei angezeigt werden. Am besten direkt bei der Staatsanwaltschaft oder eine Dienstaufsichtsbeschwerde bei der Polizei selbst (siehe unten: Racial Profiling und Recht)
10. Melde dich zur Dokumentation oder wenn du Unterstützung brauchst bei polizeikritischen Initiativen (siehe unten: Initiativen in deiner Nähe).
Hinweis: Alle oben genannten Handlungsempfehlungen sind kein Garant für gewaltfreie Kontrollen.
Stand: März 2021
Von: Sherin und Jamal
Autor*innenschaft: Dieser Text basiert auf der jahrelangen Zusammenarbeit von copwatch ffm mit betroffenen Menschen und ihren Erfahrungen mit rassistischer Polizeigewalt. Ihre Expertise und das umfangreiche Wissen, das sie über die Praxis des Racial Profilings (zwangsweise) erwerben mussten, bildet die Grundlage für unsere Handlungsempfehlung. Orientierung und Inspirationen finden wir darüber hinaus bei polizeikritischen und abolutionistischen Gruppen aus der ganzen Welt, die Geschichten des gelebten Widerstands in ihren Wissensarchiven sammeln.
Material, das wir weiterempfehlen und für die Entwicklung unserer Empfehlungen zu Rate gezogen haben:
- Schritte gegen Polizeigewalt und Was darf die Polizei? Was darf sie nicht? von KOP Berlin
- Neu: KNOW YOUR RIGHTS Broschüre (2023) von KOP Berlin auf Deutsch und Englisch
- Flyer: Know Your Rights der Schweizer Bewegung Allianz gegen Racial Profiling auf Deutsch, Französisch, Englisch, Italienisch und Spanisch
- Taschenkarte: Rassistische Polizeikontrolle – Was tun?! von Schöner Leben Göttingen
Racial Profiling und Recht
Bundesinnenminister Horst Seehofer ist gegen eine Studie, die Rassismus in der Polizei untersuchen soll. Racial Profiling sei schließlich ohnehin verboten. Doch für betroffene Menschen ist diese rassistische Praxis deutscher Sicherheitsbehörden dennoch Alltag. Wie kann das sein? Die Rechtslage zu Racial Profiling ist deutlich komplexer als der Minister und viele Menschen denken. Dieser Text soll einen Überblick über die Rechtsdimension von Racial Profiling bieten und aufzeigen, dass das Recht Racial Profiling verbietet und gleichzeitig ermöglicht und warum das Recht als Instrument gegen institutionellen Rassismus so schwach ist.
Ist Racial Profiling in Deutschland erlaubt?
Nein, Racial Profiling ist in Deutschland nicht erlaubt. Diese Praxis verstößt auf nationaler Ebene gegen den Gleichheitsgrundsatz aus Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes (GG), und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 GG) und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG). International verstößt Racial Profiling gegen die Europäische Menschenrechtskonvention, das Diskriminierungsverbot im Völkerrecht aus Artikel 26 des Internationalen Pakts über Bürgerliche und Politische Rechte (IPBPR) und die internationale Anti-Rassismus-Konvention. Diese Gesetze und Konventionen verbieten rassistische Diskriminierung. Sie verpflichten daher den Staat dazu sicherzustellen, dass seine Staatsorgane wie die Polizei keine Menschen aufgrund von unveränderlichen Merkmalen pauschal verdächtigen.1 Auch Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen hat 2017 kritisiert, dass Racial Profiling in Deutschland Alltag ist und es keine unabhängigen Beschwerdestellen für Betroffene gibt, weshalb diese rassistische Praxis meistens ohne Folgen für die Beamt*innen bleibt.2
Welche Gesetze machen Racial Profiling dennoch möglich?
Obwohl Racial Profiling in Deutschland eigentlich nicht erlaubt ist und das von deutschen Gerichten wiederholt festgestellt wurde, gibt es Gesetze, die diese rassistische Praxis dennoch begünstigen und ermöglichen. Hier macht es einen Unterschied, ob wir über die Bundespolizei oder die Landespolizei sprechen. Beide haben unterschiedliche Zuständigkeiten und Befugnisse. Ganz allgemein hat das deutsche Polizeirecht bundesweit und in den einzelnen Bundesländern die Gefahrenabwehr zum Gegenstand. Dabei bedeutet Gefahr eine drohende Schädigung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung.
1) Die Bundespolizei und Racial Profiling
Das Bundespolizeigesetz (BPolG) ermächtigt Bundespolizist*innen verdachts- und anlassunabhängige3 Personenkontrollen in Grenzräumen bis zu 30 Kilometer ins Landesinnere, an Flughäfen, in Zügen und an Bahnhöfen sowie auf Autobahnen zur Kontrolle und Verhinderung unerlaubter Einreisen durchzuführen (§ 22 Absatz 1 a BPolG und § 23 Absatz 1 Nr. 3 BPolG). Hier vermischt sich die gesetzliche Befugnis mit dem politischen Auftrag Menschen zu finden, die gegen aufenthaltsrechtliche Bestimmungen verstoßen. Dies ist an die Vorstellung gekoppelt, dass Europäer*innen im Schengen-Raum weiß und ohne internationale Geschichte sind.4 Dadurch werden als ‚anders‘5 markierte Gruppen aus der Gesellschaft ausgeschlossen und kriminalisiert.6 Durch Kontrollen zum Beispiel in Zügen wird die betroffene Person als kriminell markiert und ihre gesellschaftliche Zugehörigkeit in Frage gestellt. Im Juni 2010 hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass § 22 Abs.1 a BPolG und § 23 Abs.1 Nr.3 BPolG gegen Artikel 67 Absatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) und gegen Artikel 20 und Artikel 21 des Schengener Grenzkodex verstoßen (Urteil vom 22.06.2010, Rs. C 188/10 C189/10). Denn der Schengener Grenzkodex verbietet solche Befugnisse, deren Ausübung die gleiche Wirkung wie Grenzkontrollen hat.7
2) Die Landespolizei und Racial Profiling
Landespolizist*innen sind nur in einem Bundesland tätig und dem jeweiligen Innenministerium unterstellt. Alle Polizeigesetze der Bundesländer erlauben in verschiedenen Fällen, dass die Polizei zu Zwecken der Gefahrenabwehr verdachtsunabhängige Identitätsfeststellungen durchführen darf. Voraussetzung hierfür ist in der Regel, dass sich die kontrollierte Person an einem ‚gefährlichen‘ oder ‚kriminalitätsbelasteten‘ Ort aufhält.8 Manche Bundesländer nennen diese Orte auch ‚besonderer Kontrollort‘9 oder ‚Gefahrengebiete‘. Angeblich definiert die Polizei diese Orte anhand von konkreten Lage- und Ermittlungserkenntnissen.10 Für die Öffentlichkeit sind diese Informationen und statistischen Daten11 nur teilweise einsehbar.12 Die Bedingungen, die einen Ort als ‚gefährlich‘ einstufen lassen sind gesetzlich nicht bestimmt und das Verfahren, in dem der Ort als ‚gefährlich‘ definiert wird, geschieht in der Regel nur innerhalb der Polizei.13 Die Definitionsmacht liegt also bei der Polizei. Die Einstufung solcher ‚Orte‘ ist eng verknüpft mit der zunehmenden ‚präventiven Polizeiarbeit‘ und der Vorstellung von Sicherheit in der Gesellschaft, bei der insbesondere migrantische Menschen, BIPoC14 sowie Rom*nja und Sinti*zze als ‚abstrakte Gefahr‘ markiert werden.15 Durch die erhöhte Polizeipräsenz und mehr Kontrollen wird der Ort also eigentlich erst ‚gefährlich‘.16 Die selektiven Kontrollen verstärken das rassistische Stereotyp der ‚kriminellen Migrant*innen‘.17
Können sich Betroffene juristisch gegen Racial Profiling wehren?
Ja, es gibt verschiedene Möglichkeiten, um sich gegen Racial Profiling zu wehren. Allerdings muss immer der konkrete Fall betrachtet werden, um zu entscheiden, wie und ob sich Betroffene rechtlich gegen Racial Profiling wehren können. Hierbei können copwatch und KOP-Gruppen unterstützen. Das Recht als Instrument garantiert jedoch keinen erfolgreichen Ausgang für Betroffene. Wir wollen dennoch einen kurzen Überblick über die verschiedenen rechtlichen Möglichkeiten ermöglichen, um Betroffenen und kritischen Zeug*innen erste Informationen als Orientierung zu geben.
1) Die Dienstaufsichtsbeschwerde
Wenn Beamt*innen eine Person rassistisch behandeln, kann die betroffene Person oder auch Beobachter*innen der Situation eine sogenannte Dienstaufsichtsbeschwerde stellen. Das geht entweder per Brief, per E-Mail oder auch persönlich. Die Person, die die Beschwerde stellt – auch Beschwerdeführer*in genannt – hat einen Anspruch darauf, dass die Beschwerde von der jeweiligen Institution, wie beispielsweise einem Polizeipräsidium, bearbeitet wird. Außerdem muss die Beschwerde beantwortet werden. Es gibt allerdings keinen Anspruch darauf, dass gegen die Beamt*innen auch Disziplinarmaßnahmen eingeleitet werden. Die zuständige Institution verteidigt meistens das Verhalten der Beamt*innen. Zusätzlich gibt es bei einer Dienstaufsichtsbeschwerde das Risiko, dass die Beamt*innen selbst eine Anzeige gegen die betroffene Person stellen. Dann liegt ein sogenanntes offenes Verfahren vor, was dazu führt, dass die Polizei keine Stellung zu der Beschwerde bezieht und den Verlauf des Verfahrens gegen die betroffene Person abwartet. Hierbei schenkt die Justiz meistens den Beamt*innen mehr Glauben als den betroffenen Personen, und erklärt die Dienstaufsichtsbeschwerde daher für unbegründet und weist sie ab.18
2) Die Anzeige oder Strafantrag
Personen, die rassistisch von der Polizei behandelt wurden oder gar Gewalt erfahren haben, können sich auch mit einer Anzeige wehren. Eine Anzeige kann bei allen Polizeidienststellen, bei einer Staatsanwaltschaft oder einem Gericht mündlich oder schriftlich erstattet werden. Eine Anzeige kann von betroffenen Personen und von Zeug*innen erstattet werden. Grundsätzlich sind die Ermittlungsbehörden verpflichtet einem geschilderten Fall immer nachzugehen, wenn ein Anfangsverdacht gegeben ist (§ 152 Absatz 2, § 163 Strafprozessordnung). Der Anfangsverdacht liegt immer dann vor, wenn es möglich ist, dass der geschilderte Fall eine Straftat verwirklicht haben könnte. Problematisch ist allerdings, dass dies in der Realität nicht immer so umgesetzt wird und die Beamt*innen die Macht darüber haben, wie ernsthaft sie diese Anzeige im Fall von Racial Profiling und Gewalt durch Polizist*innen verfolgen. Eine Strafanzeige ist also nur ein Anstoß von außen an die Behörden, um zu ermitteln. Im Gegensatz dazu verlangt eine betroffene Person bei einem Strafantrag, dass eine bestimmte Tat auch tatsächlich strafrechtlich verfolgt wird.19 Ein Strafantrag kann nur von der betroffenen Person selbst oder den gesetzlichen Vertreter*innen wie beispielsweise den Eltern gestellt werden. Für den Strafantrag muss eine Frist von drei Monaten nach der Tat eingehalten werden. Bei der Anzeige und dem Strafantrag gibt es ebenfalls die Gefahr, dass die Beamt*innen selbst eine Anzeige erstatten, zum Beispiel aufgrund von „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“, Beleidigung oder Körperverletzung.20 Eine weitere Gefahr ist der Vorwurf der „falschen Verdächtigung“.
3) Der Gerichtsweg
a) Das Strafverfahren
Nachdem die betroffene Person eine Strafanzeige erstattet hat oder ein Strafantrag gestellt hat, ermittelt in Deutschland die Staatsanwaltschaft mit Hilfe von Polizeibeamt*innen. Erst nach dem Ermittlungsverfahren, entscheidet die Staatsanwaltschaft, ob der Fall vor ein Strafgericht kommt. Ermittlungsverfahren gegen Beamt*innen werden allerdings sehr oft eingestellt. Es gibt zwar noch die Möglichkeit eines Klageerzwingungsverfahrens, jedoch ist dieses meistens nicht erfolgreich, weil es nur sehr schwer durchzusetzen ist. Daneben kann gegen eine eingestellte Ermittlung der Staatsanwaltschaft auch eine Dienstaufsichtsbeschwerde eingelegt werden. Eine Studie aus dem Forschungsprojekt „Körperverletzung im Amt durch Polizeibeamte“ (KviAPol) hat beispielsweise aufgezeigt, dass im Jahr 2018 2.126 Fälle von mutmaßlicher Polizeigewalt angezeigt wurden, jedoch lediglich 40 Fälle zur Anklage führten, was eine eine Anklagequote von nur 1,98 Prozent ergibt.21
b) Das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht
Racial Profiling kann auch vor einem Verwaltungsgericht verhandelt werden, weil es sich bei dem Polizeirecht und einen Teil des deutschen besonderen Verwaltungsrechts handelt. Hier müssen die Kläger*innen allerdings selbst in Vorleistung gehen, weil die Klage eingereicht werden muss, ein*e Anwält*in benötigt wird und die anfallenden Kosten des Verfahrens übernommen werden müssen. Bereits 2012 hat das Oberverwaltungsgericht in Koblenz beschlossen, dass die Kontrolle eines Mannes in einem Zug rechtswidrig war, weil die Hautfarbe des Klägers entscheidend für die Kontrolle war (Beschluss vom 29. Oktober 2012, Az. 7 A 10532/12). Dadurch haben die Beamt*innen der Bundespolizei gegen das Diskriminierungsverbot und damit gegen das Grundgesetz verstoßen. Im Jahr 2020 war ein Mann vor dem Verwaltungsgericht in Hamburg erfolgreich mit seiner Klage gegen polizeiliche Identitätsfeststellungen (Urteil vom 10.11.2020, Az. 20 K 1515/17). Das Gericht entschied hier allerdings nicht, dass das polizeiliche Handeln rassistisch gewesen war, sondern stellte die Rechtswidrigkeit der polizeilichen Identitätsfeststellungen fest, weil auch an einem ‚gefährlichen Ort‘ keine ‚völlig anlasslosen Kontrollen‘ stattfinden dürften.
Ist es für betroffene Personen empfehlenswert sich gegen Racial Profiling juristisch zu wehren?
Oft haben betroffene Personen berechtigterweise Angst vor Repressalien durch die Polizei. Gerade das finanzielle Risiko hindert viele Betroffene daran, sich juristisch zu wehren. Zudem kostet der Kampf vor Gericht viel Energie. Allerdings sind Gerichtsverfahren gegen Beamt*innen auch ein wichtiger Schritt im Kampf gegen Racial Profiling, weil sich dadurch der öffentliche Druck erhöht. Die Entscheidung für ein gerichtliches Verfahren sollte daher intensiv abgewogen werden. Nicht-Betroffene und privilegierte Personen könnten hier insbesondere durch Spenden unterstützen, um das finanzielle Risiko für die betroffene Person zu reduzieren.
Hinweis: Wir sind keine Jurist*innen, die Informationen wurden zwar sorgfältig zusammengetragen, dienen aber nur dem Überblick und ersetzen keine Rechtsberatung durch Anwält*innen. Briefe von den Sicherheitsbehörden sollten grundsätzlich immer ernst genommen werden. Es gibt verschiedene Gruppen, die betroffene Personen sowohl beim Gerichtsweg gegen Racial Profiling als auch bei Gegenanzeigen unterstützen.
Stand: Februar 2021
von Sina für copwatch ffm
1 Vgl. Cremer, 2013 Berlin, S. 4.
2 Vgl. UNHCR, Statement online.
3 Anmerkung: Der Begriff „anlassunabhängig“ wird zwar im Kontext von Racial Profiling verwendet, ist aber eigentlich irreführend, denn der Anlass ist hier Rassismus beziehungsweise rassistische Zuschreibungen, die dazu führen, dass Polizist:innen eine Person kontrollieren.
4 Vgl. Antidiskriminierungsbüro Köln, 2017, S. 11.
5 Anmerkung: Die Bezeichnung von Menschen als ‚Andere‘ ist eine Form des sogenannten Otherings. Im Fall von Racial Profiling geht es hierbei um Personen, die nicht in dieses enge und falsche Bild der weißen/nicht-migrantischen Gesellschaft passen und ihnen unterstellt wird, dass sie sich potentiell ‚illegal‘ im Land aufhalten.
6 Vgl. Thompson, 2020, bpb online.
7 Artikel 23 lit. a Verordnung des Europäischen Parlaments 2016/399
8 Vgl. Aden, 2017, S. 56.
9 Vgl. Polizei Bremen.
10 Vgl. KOP, 2016, S. 14.
11 Anmerkung: Besonders die Kriminalitätsstatistiken der Polizei können kritisch hinterfragt werden: Wie und welche Straftaten gehen in diese Statistiken ein und welche nicht? Wer wird kontrolliert und wer nicht? Wer wird eher angezeigt und wer nicht?
12 Anmerkung: Beispielsweise werden diese Orte in Berlin und Bremen im Internet veröffentlicht. In vielen anderen Bundesländern wie zum Beispiel Hessen gibt es allerdings keine öffentlich zugänglichen Informationen zu den konkreten Orten. Teilweise gibt es Anfragen von Fraktionen z.B. in Stadtverordnetenversammlungen dazu, welche Orte in einer Stadt von der Polizei als ‚gefährlich‘ eingeordnet werden.
13 Vgl. Keitzel, 2020, S. 1.
14 Anmerkung: Abkürzung für Schwarze und/oder Indigene Menschen und/oder People of Color
15 Vgl. Thompson, 2020, bpb online.
16 Vgl. KOP, Kampagne: Ban! Racial Profiling – Gefährliche Orte abschaffen!.
17 Vgl. Thompson, 2020, bpb online.
18 Vgl. Antidiskriminierungsbüro Köln, 2017, S. 18.
19 Anmerkung: Der Strafantrag ist eigentlich nur bei bestimmten Delikten erforderlich: absolute und relative Antragsdelikte. Das heißt, dass gewisse Straftaten nur dann verfolgt werden, wenn die betroffene Person die Strafverfolgung auch per Strafantrag beantragt, zum Beispiel eine Beleidigung. Bei relativen Antragsdelikten kann auch auf einen Strafantrag verzichtet werden, wenn ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht, zum Beispiel bei einer Körperverletzung.
20 Vgl. Antidiskriminierungsbüro Köln, 2017, S. 8.
21 Vgl. Schubert, ZDF online, 2019.
Quellen:
Aden, Hartmut: Anlasslose Personenkontrollen als grund- und menschenrechtliches Problem, in: Zeitschrift für Menschenrechte Ausgabe 2, 2017, S. 54-65.
Antidiskriminierungsbüro Köln: „Menschen wie DU neigen zu Straftaten“. (Rassistische) Diskriminierung bei der Polizei: Ursachen, Folgen und Möglichkeiten der Intervention, 2017, online abrufbar unter: http://www.gleichbehandlungsbuero.de/docs/Rassistische%20Disktiminierung%20bei%20der%20Polizei_Brochure%20vom%20ADB_Köln.pdf [04.02.2021].
Berliner Kampagne „Ban Racial Profiling“ https://kop-berlin.de/beitrag/die-berliner-kampagne-ban-racial-profiling-gefahrliche-orte-abschaffen [04.02.2021].
Cremer, Hendrick: „Racial Profiling“ – Menschenrechtswidrige Personenkontrollen nach § 22 Abs. 1 a Bundespolizeigesetz. Empfehlungen an den Gesetzgeber, Gerichte und Polizei, Deutsches Institut für Menschenrechte, 2013 Berlin, online abrufbar unter: https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/_migrated/tx_commerce/Studie_Racial_Profiling_Menschenrechtswidrige_Personenkontrollen_nach_Bundespolizeigesetz.pdf [04.02.2021].
Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt (Hg.): ALLTÄGLICHER AUSNAHMEZUSTAND. Institutioneller Rassismus in deutschen Strafverfolgungsbehörden, Berlin 2016.
Keitzel, Svenja: Varianzen der Verselbstständigung der Polizei per Gesetz. „Gefährliche Orte“ im bundesweiten Vergleich, in: Kriminologisches Journal, Ausgabe 3, Jahrgang 52, 2020, S. 1-19.
Polizei Bremen: Besondere Kontrollorte, Polizei Bremen online, online abrufbar unter: https://www.polizei.bremen.de/dienststellen/besondere_kontrollorte-20622 [08.02.2021].
Schlüter, Nadja: Was kann ich gegen Racial Profiling tun?, jetzt online, 29.05.2020, online abrufbar unter: https://www.jetzt.de/gutes-leben/racial-profiling-wie-kann-ich-mich-wehren-wie-betroffenen-helfen [05.02.2021].
Schubert, Kevin: Wenn Polizisten zum Täter werden, ZDF online, 17.09.2019, online abrufbar unter: https://www.zdf.de/nachrichten/heute/polizeigewalt-studie-mit-betroffenen-100.html [20.03.2021].
Schwarzer, Anke: Racial Profiling: Kontrollen jenseits des Rechts, Blätter für deutsche und internationale Politik 1/2014, online abrufbar unter: http://static.ankeschwarzer.com/swar1401.pdf [04.02.2021].
Thompson, Vanessa: Racial Profiling, institutioneller Rassismus und Interventionsmöglichkeiten, bpb, 27.4.2020, online abrufbar unter: https://www.bpb.de/gesellschaft/migration/kurzdossiers/308350/racial-profiling-institutioneller-rassismus-und-interventionsmoeglichkeiten [04.02.2021].
UNHCR: Statement to the media by the United Nations’ Working Group of Experts on People of African Descent, on the conclusion of its official visit to Germany, 20-27 February 2017, Berlin, 27 February 2017, online abrufbar unter: https://www.ohchr.org/en/NewsEvents/Pages/DisplayNews.aspx?NewsID=21239&LangID=E [20.03.2021].
Initativen in deiner Nähe
An wen kann ich mich bei Racial Profiling und Erfahrungen mit institutionellem Rassismus durch die Polizei oder der Justiz wenden?
copwatch ffm: https://copwatchffm.org/
copWatch Leizpig: https://copwatchleipzig.home.blog/
Big Sibling Kollektiv (Wien): https://bigsibling.noblogs.org/de/
Allianz gegen Racial Profiling (Schweiz): https://www.stop-racial-profiling.ch/de/home/
Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt (KOP):
– KOP Bremen: kop-bremen@riseup.net; https://kopbremen.noblogs.org/
– KOP Kiel: http://kop-kiel.de/
Kooperation gegen Polizeigewalt (KgP): https://www.kgp-sachsen.org/
Gemeinsam organisieren wir jedes Jahr am 15. März einen Aktionstag zum “Internationalen Tag gegen Polizeibrutalität” (#15MRZ, #Polizeigewalt): https://15mrz.org/ und https://buendnis1503.blackblogs.org/
Justizwatch: https://justizwatch.noblogs.org/
Bündnis Death in Custody: https://doku.deathincustody.info/