Redebeitrag vom Frankfurter Forum für Psychische Krisenbewältigung

Zunächst wollen wir uns bedanken bei den Organisatoren der Veranstaltung. Und dann auch bei Copwatch Frankfurt und Fridays for Future Frankfurt für die gemeinsame Presseerklärung im März und für die gemeinsame Anfrage, die wir über die LINKE an den Magistrat der Stadt Frankfurt gerichtet haben.

Wir selbst, das Frankfurter Forum für Psychische Krisenbewältigung, sind eine politisch ausgerichtete Selbsthilfegruppe, die sich für eine bessere Psychiatrie in Frankfurt und im Rhein-Main Gebiet einsetzt.

Fehlender Krisendienst

Im Fall von Amin F. hätte man genug Zeit gehabt. Genug Zeit um jemanden vom Krisendienst hinzuzuholen, der mit Suchtkranken und psychisch Kranken Erfahrung hat und besser deeskalieren kann als die hessische oder Frankfurter Polizei.

Nur: diesen Krisendienst gibt es in Hessen nicht. In Hessen wurde noch nicht einmal die läppische Telefonseelsorge auf dem Weg gebracht, die es laut Gesetz schon geben müsste und kaum die Bürozeiten abdecken würde. In Bayern und Berlin gibt es einen aufsuchenden Krisendienst 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche. Das möchten übrigens alle Verbände für Hessen und für Frankfurt ! Psychische Krisen halten sich nun mal nicht an Bürozeiten.

Wir fordern die Einrichtung eines spezialisierten Krisendienstes, um Gefahrensituationen schnell und ohne Gewaltanwendung zu deeskalieren. Wir brauchen eine Alternative zur Polizei in diesen Situationen, da gerade im Rhein-Main-Gebiet die eingesetzten Beamt*innen offenbar immer wieder überfordert sind und tödliche Gewalt anwenden.1

Massive Probleme bei der Versorgung nach der Entlassung

Im Fall des argentinisch-spanischen Mann, der Anfang des Jahres am Deutschherrenufer erschossen wurde, steht in der Presse nur das: Er habe „in einer Einrichtung für Personen mit psychischen Beeinträchtigungen gelebt“. Mehr dazu interessiert offenbar kein Schwein.

Was wir dazu immerhin sagen können: Mit sehr großer Wahrscheinlichkeit dürfte der Mann psychiatrisch schlecht versorgt gewesen sein. Eine große Studie der Uniklinik Mainz fand heraus, dass die Mehrheit der schwer psychisch Kranken nach der Entlassung keine leitliniengerechte Behandlung bekommen. Und zwar die große Mehrheit. Um genau zu sein: Ganze 92% der schwer psychisch Kranken Die meisten von ihnen sind sogar schwer unterversorgt oder gar nicht versorgt.

Die Studie ist nicht alt, aber ganz neu ist sie auch nicht. Man hätte also Zeit gehabt, zu reagieren. Es wurde nicht reagiert.

Brandbriefe von Klinikleitern und psychosozialem Beirat

In Hessen bekommt man fast den Eindruck, als sei eine Änderung der Misere gar nicht gewollt. Schon unter der letzten Regierung gab es gleich zwei Brandbriefe der Leiter der psychiatrischen und psychosomatischen Kliniken, die an Deutlichkeit wenig zu wünschen übrig ließen. Die Psychiatrie sei am Kollabieren. Die Reaktion der Regierung war gleich Null.

„Das System ist am Absaufen“, schreibt noch deutlicher der psychosoziale Beirat der Stadt Darmstadt-Dieburg letztes Jahr an Land, Bund und kassenärztliche Vereinigung. Auch dazu keine Reaktion. Deshalb musste man Mitte letzten Monat ebenfalls mit einem zweiten Brandbrief nachlegen.

Gewalt in der Hessischen Psychiatrie

Hessen lässt sich auch sonst gerne Zeit. Auch und gerade bei den sehr wichtigen Dingen. Wenn es um die Zahlen zu Zwang und Gewalt in den psychiatrischen Kliniken geht, lässt Hessen sich nämlich sogar sehr viel Zeit. In der Vergangenheit gerne zwei Jahre und sogar mehr.

In Baden-Württemberg geht es schneller. Viel schneller. Da werden die Daten elektronisch zeitnah weitergegeben. Mögliche Faktoren, die nach Einschätzung der Leute vor Ort zur Eskalation beigetragen haben, werden in Baden-Württemberg gleich mit erhoben. In Hessen tappt man lieber im Dunkeln.

Zu den Kliniken, die offenbar erst gar keine Zahlen liefern, gehört die Uniklinik Frankfurt. Man veröffentlicht die Zahlen zu Zwangsmaßnahmen in Kliniken laut Aussage aus dem Ministerium aber auch deshalb nicht,weil einige hessische Kliniken wesentlich mehr Gewalt anwenden als andere. Laut der früheren Referatsleiterin im Ministerium gäbe es da Interpretationsbedarf. Den man offenbar lieber unter sich nicht klärt, als es in der Zivilgesellschaft zur Diskussion zu stellen.

Wenn nach Aussagen eines Experten mindestens 2 von 3 Polizeitoten psychische Probleme haben, stellt sich indirekt auch die Frage, wie viele von ihnen in der Psychiatrie Gewalt erlebt haben.

Politische Intransparenz

Auch in Frankfurt gibt es jede Menge Intransparenz. Die Organe, wo Betroffene vertreten sein sollten, gibt es in Frankfurt erst gar nicht. Der Gemeindepsychiatrische Verbund ist seit Jahren in der Planung, obwohl es ihn schon lange geben müsste. Betroffene und Angehörige sind weder in den Planungsprozess eingebunden noch bei den Koordinierungstreffen mit den Ordnungsbehörden dabei. Was genau wird dort zwischen Ordnungsamt, Polizei, Kliniken und Sozialpsychiatrischem Dienst abgesprochen? Wo wird der größte Handlungsbedarf gesehen?

U.a. dazu hatten wir eine Anfrage an die Stadt gestellt. Die Stadt Frankfurt hatte genug Zeit diese Anfrage zu beantworten. Sie hat sie nicht beantwortet. Oder nur vertröstet. Seit ein paar Wochen gibt es nun außerdem eine entsprechende Anfrage der LINKEN an den Magistrat. 

Lediglich vom Leiter des Sozialpsychiatrischen Dienstes im Gesundheitsamt kennen wir die Prioritäten: Dr. Michael Wende verlangt nach mehr repressiven Maßnahmen: Erstens will Herr Dr. Michael Wende längere Einweisungszeiten wie in anderen Städten und Landkreisen. Zweitens will er für Frankfurt mehr geschlossene Wohnheime. In ein geschlossenes Wohnheim kann man ausschließlich wegen Eigengefährdung untergebracht werden. In der Regel für ein ganzes Jahr. 

Die Frankfurter Rechtssprechung hält das Gott sei Dank für unvereinbar mit den Grundrechten. Es ist auch nicht vereinbar mit den Grundrechten.Unserer Erfahrung nach werden die Leute so auch noch mehr traumatisiert. Aber die Leute, die nach mehr Repression rufen, nehmen zu.

Dringender Handlungsbedarf

Der eigentliche Handlungsbedarf liegt ganz woanders.

Es liegt an einem Krisendienst, der rund um die Uhr zu den Menschen kommt.

Es liegt an einem Entlassmanagement, das diesen Namen verdient. Ein Entlassmanagement, das sich genau am Bedarf des psychisch Kranken und seines Umfelds orientiert, statt darüber hinwegzugehen.

Er liegt an zwei Dingen, die uns besonders am Herzen liegen und zu denen wir deshalb auch Veranstaltungen auf der Psychiatriewoche Frankfurt anbieten. 2

Medikamentenreduktion

Einmal fehlt die Begleitung, wenn man Psychopharmaka reduzieren will. Durch diese fehlende Begleitung und unkontrolliertes Absetzen entstehen ganz viele Dramen.

Laut Aussage des Vorsitzenden eines Bundesverbandes zu Suizid ist das unkontrollierte Absetzen von Psychopharmaka ein häufiger Grund von Selbstmorden. Es dürfte auch ein wichtiger Faktor bei Aggressionen sein.

Die fehlende Aufklärung und Unterstützung beim Ausschleichen von Psychopharmaka kommt hier einer unterlassenen Hilfeleistung gleich. Das sieht auch die Deutsche Gesellschaft für Sozialpsychiatrie so.

Kreative Ansätze 

Dann fehlen uns kreative Ansätze außerhalb der Kliniken und außerhalb der Tagesstätten. Gerade wenn die Zahl der Psychiater so drastisch zurückgeht und Gesprächstherapien unter anderem wegen fehlendem Erfolg von den Krankenkassen nur zögerlich finanziert werden, braucht es Alternativen.

Statt endlich die nötigen Studien zur Wirkung von Musik und Kunst durchzuführen, forscht man hier in Frankfurt aber lieber im Bereich Psychiatrie/Psychotherapie sehr viel zur Digitalisierung.

Gerade Ansätze, die von den Interessengebieten, Talenten und Entwicklungsmöglichkeiten der Leute ausgehen, lassen sich inklusiv ausrichten und wohnortnah verwirklichen. Sie schaffen die Einbindung in den sozialen Raum und ermöglichen eine echte Teilhabe. Das hat man in Frankfurt und vielerorts leider wieder völlig aus den Augen verloren.


1 https://www.hessenschau.de/gesellschaft/toedliche-polizeischuesse-in-hessen-diese-faelle-sind-noch-offen-v1,ermittlungen-polizeischuesse-100.html

2 https://www.psychiatrie-frankfurt-am-main.de/veranstaltungen/monat/2024-09/