Hallo, wir möchten euch darauf hinweisen, dass bei dieser Kundgebung über rassistische Polizeigewalt und auch um patriarchale Gewalt gesprochen wird. An dieser Stelle also eine Triggerwarnung.
Wir sprechen hier als NiKa – ein Hausprojekt in der Niddastraße Ecke Karlstraße. Wir sind damit in der direkten Nachbarschaft zu dem Ort, an dem Biriq am 2.8.2022 von der Polizei getötet wurde.
Zu aller erst möchten wir den Freund*innen, der Familie und Bekannten von Birig unser Beileid aussprechen und auch unsere Solidarität, insbesondere Abdiwali, dem Bruder von Biriq. Und auch Kamal, der heute hier ist als Vorsitzender des Somali Community Service.
Uns hat die Nachricht über den Mord an Biriq damals traurig und wütend gemacht. In einer Presseerklärung haben wir dies öffentlich geäußert und viele Fragen bzgl. der Geschehnisse gestellt. Diese Fragen wurden bis heute nicht beantwortet und die Konsequenzen lassen auf sich warten.
Seit dem Tod von Biriq sind 2 Jahre vergangen. Wie wir inzwischen wissen, hat der Verein Somali Community Service die Herausgabe der Leiche und das Begräbnis erwirkt und steht im Kontakt mit Biriqs Bruder. Immerhin hat die Stadt Frankfurt das Begräbnis bezahlt. Aber wie so oft in solchen Fällen: Solange es keinen Druck von Angehörigen und der Zivilgesellschaft gibt, passiert erst mal gar nichts.
Vor allem die Fragen zum Tathergang und dem Vorgehen der Polizei bleiben unbeantwortet. Als Sondereinsatzkommando sollte das SEK seinem Namen gerecht werden und besonderen Situationen deeskalativ begegnen können. Wir reden hier nicht von dem Polizist vom Dorf, der noch nie in einer potenziell eskalativen und unübersichtlichen Situation gewesen ist.
Das SEK sollte für genau diese Art von Situationen geschult sein und Strategien kennen. Was jedoch in dieser Nacht in dem Hotelzimmer in der Moselstraße passiert ist, hat unserem Wissensstand nach nichts mit Deeskalation zu tun. Auch hier wird deutlich: die Vorfälle des Abends sind unklar. Während es Berichte darüber gibt, das Biriq sich mit zwei Sexarbeiter*innen in einem Hotelzimmer im Hotel Mosel aufgehalten habe, sagen andere, er habe sich alleine ein Zimmer in dem Hotel gebucht und dort erst die beiden Sexarbeiter*innen angetroffen, die dort auch eingemietet waren. Klar ist, er bedrohte die Sexarbeiter*innen, woraufhin eine der beiden aus dem Fenster sprang und sich dabei, wie sie in einem Interview selbst berichtete, schwer verletzte. Obwohl die Polizei in der öffentlichen Wahrnehmung zum Schutz der Sexarbeiter*innen anrückte, kamen sie der Betroffenen in dieser Situation nicht zur Hilfe. Biriq, der in einer psychischen Ausnahmesituation gewesen zu sein scheint, befand sich danach alleine in seinem Zimmer. Wer genau die Polizei verständigte, bleibt ebenfalls unklar. Klar ist jedoch, dass das SEK erst viele Stunden später die Tür zu seinem Zimmer aufbrach. Laut Hessenschau beschrieben Beobachtende die Lage bis zu diesem Zeitpunkt als ruhig.
In einem gestern erschienen Artikel der Frankfurter Rundschau wird ein anonym-bleibender Polizeibeamter zitiert, der das Vorgehen in der Nacht von Biriqs Tod als unüblich und als vollkommen unangebrachte Eskalation beschreibt. Auch einen Polizeihund in ein Zimmer vorzuschicken, sei ungewöhnlich. Das man auf einen aufgebrachten Hund selbstverteidigend reagiert, erscheint uns wiederum als naheliegende Reaktion. Dazu kommt, dass Biriq sich mutmaßlich in einem pyschischen Ausnahmezustand und unter Drogeneinfluss befand. Das Verletzen des Polizeihundes als Selbstverteidigung und das vermeintliche Bei-sich-Tragen einer Waffe (um welche Waffe es sich genau gehandelt hat, ist ebenfalls bis heute unklar) veranlasste die Polizeibeamten dann, Biriq mit 6 Schüssen, einer davon von oben in den Kopf, zu erschießen. Biriq starb auf der Stelle.
Das war eine gezielte Tötung. Uns macht das fassungslos und wir fordern eine Aufklärung der Situation und Konsequenzen für die Beamt*innen! Inzwischen sind bereits zwei Jahre vergangen und wir sehen immer noch keine echten Konsequenzen. Stattdessen hat die Staatsanwaltschaft dieses Jahr das Verfahren gegen die beteiligten Polizist*innen eingestellt, mit der Begründung, es habe sich um Notwehr gehandelt. Peter Beuth behauptet später, die Polizei hätte laut Zeugenaussagen davon ausgehen müssen, dass Biriq eine Schusswaffe hatte. Außerdem behauptete die Polizei zunächst, Biriq sei nur schwer verletzt worden und dann im Krankenhaus gestorben. Auf einen 28 Fragen umfassenden dringlichen Berichtsantrag im hessischen Landtag, der von der Fraktion Die Linke gestellt wurde, gab es ebenso wenig befriedigende Antworten.
Der hessische Innenminister Peter Beuth antwortete nur auf wenige Fragen mit Verweis auf die laufenden Ermittlungen. Er erklärte Hinweise auf den Einfluss von strukturellem Rassismus seitens der Polizei für nicht existent. Erst auf die Anmerkung von Abgeordneten erklärte Peter Beuth sein Bedauern über den Tod von Biriq. Dass die Polizei ihr eigenes Fehlverhalten und rassistische Motivationen in Polizeieinsätzen nicht anerkennt, konsequent aufarbeitet und entsprechende strukturelle Änderungen einführt, ist keine Überraschung.
Wir finden es an dieser Stelle wichtig, auch die Sexarbeiter*innen nicht zu vergessen. Sie waren Betroffene von Biriqs patriarchalem gewaltvollen Verhalten und haben, soweit wir wissen, keinerlei Unterstützung erhalten. Patriarchale und sexualisierte Gewalt gegenüber FLINTAS ist auch ein Problem im Bahnhofsviertel. Dabei sind drogengebrauchende und nicht-weiße, insbesondere Transfrauen, die der Sexarbeit nachgehen, besonders betroffen. Deswegen fordern wir heute nicht nur Aufklärung und Konsequenzen und Justice for Biriq, sondern auch mehr FLINTA-spezifische Angebote in der Drogenhilfe, wie zum Beispiel Druckräume für FLINTA, mehr Geld für feministische Sozialarbeit und gesundheitliche Versorgung. Sexualisierte Gewalt durch verbale und physische Übergriffe erleben Transpersonen und andere FLINTA im Bahnhofsviertel jeden Tag. Die Diskriminierung und Praekarisierung durch die Stadt und große Teile der Gesellschaft grenzen sie aus und isolieren sie. Extreme Vulnerabilitaet und Schutzbedürftigkeit ergibt sich für die Personen, die in der Sexarbeit arbeiten. Das Bahnhofsviertel muss für diese Personengruppen sicher werden und die Bedürfnisse aller sich dort aufhaltenden Menschen schützen.
Die tagtägliche immense Polizeipräsenz im Bahnhofsviertel bedeutet nicht für alle Menschen das gleiche. Wir beobachten viele Kontrollen von nicht-weiß gelesenen Menschen, die auf diese Weise schikaniert und vertrieben werden. Da die Polizei sich dem Vorwurf des Racial Profilings so gerne verwehrt, gibt es auch wenig Zahlen, die rassistische Polizeikontrollen festhalten.
Unsere Wahrnehmung als Anwohnende ist jedoch, dass Racial Profiling eine alltägliche Praxis der Polizei im Bahnhofsviertel ist. Menschen, die nicht von Racial Profiling betroffen sind, neigen dazu, auf Dauer gegenüber dieser strukturellen Ungerechtigkeit abzustumpfen. An dieser Stelle sei daran erinnert, dass es Möglichkeiten gibt, Menschen in rassistischen Polizeikontrollen zu unterstützen. Informationen, wie das genau aussehen kann, findet ihr unter anderem bei unseren Freund*innen von CopWatch.
Auch wenn es sich bei dem Fall von Biriq nicht um klassisches Racial Profiling handelt, hat sein Tod nicht in einem luftleerem stattgefunden. Nicht-weiße Menschen per se in die Täterecke zu stellen und als Gefahr wahrzunehmen – ob nun auf der Straße bei einer verdachtsunabhängigen Kontrolle oder bei einem durch Anruf ausgelösten Einsatz in einem Hotel – kann für die Betroffenen leider tödlich enden. Auch die fehlende Reaktion nach Biriqs Tötung sowie die Führung und Urteil des nachfolgenden Prozesses sind Ausdruck dieser Darstellung und Konstruktion des gefährlichen und kriminellen Migranten.
Die Polizei war im Fall von Biriq nicht die Lösung, sondern das Problem. Und das Problem hat für ihn den Tod bedeutet. Biriq bleibt leider kein Einzelfall, denken wir an Mouhamed Dramé, der auch im August 2022 von Dortmunder Polizisten erschossen wurde oder an Bilel, der zwar 34 Schüsse aus den Dienstwaffen der Polizei überlebte, seitdem aber querschnittsgelähmt ist.
In unserem Viertel stellt sich nun also die Frage, ob es grundsätzlich ein Problem gibt, das mit den Mitteln der Polizei überhaupt sinnvoll gelöst werden könnte?
Können sie Wohnungsnot lindern? Oder Armut? Können sie Rassismus bekämpfen? Bei der Bewältigung der Kriegstraumata helfen, unter denen viele der hier lebenden Geflüchteten leiden? Die durch die Kriminalisierung des Drogenkonsums extrem gepanschten und gefährlichen Drogen abschaffen? Angesichts der in den letzten Jahren massiv gesteigerten Polizeipräsenz sind das entscheidende Fragen.
Wir kennen die Skandale der Frankfurter Polizei, mit ihren rechten Chatgruppen, rassistischen Aussagen und dem NSU 2.0. Was wir brauchen, ist nicht mehr Polizei, sondern Aufklärung und Konsequenzen und Politiken, die tatsächlich darauf aus sind, die Herausforderungen im Viertel anzugehen, statt sie unsichtbar zu machen.
Als Bewohner*innen und Teil des Bahnhofsviertels möchten wir verdeutlichen, dass die Probleme, die hier existieren, mit langfristigen Lösungswegen, ohne Vertreibung, angegangen werden müssen. Damit das Bahnhofsviertel ein Ort wird, in dem ALLE Menschen sicher sind, und die Unterstützung bekommen, die ihnen ein selbstbestimmtes Leben ermöglicht.
Wir können den Mord an Biriq nicht ungeschehen machen, wir fordern aber eine unabhängige Aufklärung der Geschehnisse und Konsequenzen. Denn Erinnern heißt Kämpfen!