Aktuell gehen deutschlandweit hunderttausende Menschen gegen Rechts und vor allem gegen die AfD auf die Straße. Das ist beeindruckend. Gleichzeitig macht es mal wieder sichtbar, wann ebendiese Solidarität und Aufmerksamkeit fehlt. Das Treffen Rechtsextremer, über das correctiv berichtet hat, wird legitimerweise skandalisiert. Doch wo sind die Hunderttausenden Menschen, die Betroffene des strukturellen alltäglichen Rassismus in Deutschland unterstützen?
Wofür wir auch Aufmerksamkeit und Solidarität brauchen:
Hanau, Oury Jalloh, Ramacan Avci, Hogir Alay … – Initiativen von Angehörigen und Betroffenen rechter Gewalt leisten vielfach allein Aufklärungs- und Widerstandsarbeit. Diese Kämpfe dauern länger als einen Nachmittag am Wochenende. Sie sind kräftezehrend und frustrierend.
Es ist Januar 2024 und bereits mindestens zweiMenschenhaben Polizeieinsätze in diesem Jahr nicht überlebt.
Wir gedenken Ibrahima Barry, der am 6. Januar 2024 bei einem Polizeieinsatz starb. Er war 26 Jahre alt. Und wir gedenken dem 28-jährigen Mann, der am 8. Januar 2024 in Aachen in Gewahrsam der Polizei gestorben ist.
Am 19. Januar 2024 wurde außerdem das Verfahren gegen Neonazis vor dem Landgericht Chemnitz wegen den rechten und rassistischen Ausschreitungen am 1. September 2018 nach acht Verhandlungstagen gegen die drei von ursprünglich 9 Angeklagten in der ersten Instanz ohne Verurteilung eingestellt. Der Rechtsstaat hat mit dieser Entscheidung und der verschleppten Strafverfolgung damit wieder einmal Betroffene rechter Gewalt im Stich gelassen.
Für Betroffene ist die Zunahme von Rassismus, Antisemitismus und rechter Gewalt nicht erst seit der correctiv Recherche Realität. Und nicht nur die AfD und ‚die‘ Rechten sind das Problem. Solche Externalisierungen á la „rassistisch sind nur die anderen“ leugnen dass rechte Narrative und Einstellungen in der Mitte der Gesellschaft Alltag sind. Ob Abschiebungen, Versicherheitlichung und Militarisierung der Polizei, Debatten um Entzug der Staatsbürger*innenschaft in Verbindung mit propalästinensischen Demonstrationen – der Rechtsruck ist da. Der Rassismus war immer schon da. Für Betroffene ist die Gefahr konkret – insbesondere weil sie immer wieder die Erfahrung machen, dass ihre Ausgrenzung, Diskriminierung und Gewalt gegen sie bagatellisiert und in vielen Fällen auch politisch legitimiert wird.
Statt Demoplakaten mit „Narzissen statt Nazis“ brauchen Betroffene und ihre Angehörigen rassistischer – insbesondere institutioneller – Gewalt tatsächliche Solidarität und Unterstützung. Der alltägliche rassistische Ausnahmezustand muss jeden Tag von uns skandalisiert werden. Diejenigen, die schweigen, sich nicht darum kümmern, sind auch Teil des Problems.
Was könnt ihr tun?
Stellt euch nicht nur gegen den Rassismus der AfD, sondern gegen jegliche rassistische Politik – auch wenn sie aus der gesellschaftlichen Mitte und staatlichen Institutionen kommt.
Wir bitten euch, solidarisiert euch weiter – auch jenseits von Demos.
Tatsächliche Unterstützung für Betroffene rassistischer Gewalt kann beinhalten mit finanziellen Spenden Kosten für Gutachten, Anwält*innen und Gerichtsverfahren zu unterstützen.
Begleitet solidarisch Betroffene und Angehörige bei Gerichtsverfahren im Zusammenhang mit rassistischer Gewalt. Es ist wichtig, dass wir Betroffene von Polizeigewalt nicht alleine lassen und auch ihre Kriminalisierungen, die sich im Gerichtssaal fortsetzen, nicht unwidersprochen hinnehmen.
Schließt euch politischen und aktivistischen Gruppen und Initativen an. Fast alle von uns haben zu wenig Kapazitäten und Ressourcen und brauchen immer weitere Menschen, die aktiv werden wollen.
Teilt Aufrufe, beschäftigt Euch mit Fällen und redet mit Eurem Umfeld darüber, bucht Workshops bei uns und anderen selbstorganisierten Gruppen, schaut nicht weg, wenn Menschen aus Demos von der Polizei rausgezogen werden, sensibilisiert Familie und Freund*innen – passt auf einander auf!
Aktuell:
Aktuell finden unter anderem zwei Prozesse, die den Tod durch Polizeigewalt verhandeln, statt, die die volle Aufmerksamkeit der Gesellschaft brauchen:
1) Tod von Mouhamed Lamine Dramé vor dem Dortmunder Landgericht
2) Tod von A. P. vor dem Mannheimer Landgericht
Außerdem steht ein Polizist in Frankfurt vor dem Amtsgericht wegen Körperverletzung im Amt, Nötigung und Verfolgung Unschuldiger.
Und am 25. Januar begann ein erneuter Prozess gegen den Täter des antisemitischen, rassistischen und misogynen Anschlags von Halle am 9. Oktober 2019 vor dem Landgericht Stendal.
Dieser aktuelle Moment des Aufschreis darf nicht wieder verpuffen.