07.05.2022 Redebeitrag bei der Demonstration gegen Polizeigewalt in Mannheim

Liebe Angehörige, liebe Freund*innen, besonders des Opfers, liebe Genoss*innen, liebe unterstützende Menschen hier vor Ort,

wir sprechen heute hier als Copwatch Frankfurt und möchten zu allererst unser tiefes Beileid den Angehörigen und Freund*innen des Mannes aussprechen, der hier in Mannheim am 2. Mai durch einen Polizeieinsatz zu Tode gekommen ist.

May he rest in peace and power!

Wir stehen in voller Solidarität hinter und neben euch!

Kein Vergeben, kein Vergessen!

Seit 2013 unterstützen wir als Copwatch Personen, die von rassistischen Polizeikontrollen, so genanntem racial profiling betroffen sind. Wir unterstützen Betroffene in rechtlichen, politischen und emotionalen Bereichen. Einige von uns waren zuvor in der Initiative Christy Schwundeck aktiv, eine schwarze migrantische und mittellose Frau, die am 19. Mai 2011 von einer Polizistin in einem Job Center in Frankfurt am Main erschossen wurde.

Racial Profiling passiert jeden Tag und hat für die Betroffenen enorme psychische, soziale und ökonomische Auswirkungen. Als Copwatch frankfurt haben wir eine Hotline eingerichtet, über die wir die Kontrollen anonym dokumentieren, denn es gibt in Deutschland keine offizielle Stelle, die eine Statistik über das rassistische Verhalten der Polizei führt.

In der Woche rufen uns oft mehrere Personen aus dem Raum Hessen und darüber hinaus an, die uns als Betroffene oder als Zeug*innen von gewaltvollen, rassistischen Handlungen durch die Polizei berichten:

Ständige Polizeikontrollen und herabsetzende Behandlung durch Polizist*innen sind in Deutschland Alltag. Sie demütigen, verletzen und fügen Menschen in dieser Gesellschaft täglich Gewalt zu. Manchen Menschen beginnen öffentliche Orte zu meiden, um nicht zum hundertsten Mal kontrolliert zu werden, zu spät zur Arbeit zu kommen oder um körperlich unversehrt zu bleiben.

Werden gewalttätige Polizist*innen von den betroffenen Menschen angezeigt, bleibt dies in den allermeisten Fällen erfolglos.

Opfer von Polizeigewalt müssen in den allermeisten Fällen mit Gegenanzeigen rechnen, wenn sie Beamt*innen für die erfahrene Gewalt und den Rassismus anzeigen. Im Gegensatz zu den Beamt*innen aber, die sich strukturell bedingt gegenseitig decken und durch Gerichte meist bestätigt werden, ist es für Betroffene oft viel schwerer sich gegen die meist unfairen Vorwürfe der Polizei vor Gericht zu wehren.

Die Verfahren werden weitaus seltener eingestellt, als die gegen die Beamt*innen und sind meist nicht nur unrecht, sondern auch re-traumatisierend und emotional und finanziell extrem belastend.

Rassistische Polizeikontrollen gehen somit über einzelne Kontrollen hinaus, weil sie Menschen täglich zeigen, dass der rassistische und kapitalistische Staat mit ihnen einfach machen kann was er will, sie demütigen, misshandeln, abschieben, töten.

All dies sind Wirkweisen des institutionellen Rassismus in einer kapitalistischen Gesellschaft, und es sind keine Einzelfälle!!

Racial profiling endet oft tödlich. Auch das sind keine Einzelfälle!

In Deutschland wird erst seit dem Jahre 2020, den globalen Widerständen schwarzer Menschen und den Widerständen unsere Genoss*innen in Hanau, zunehmend über Rassismus gesprochen, aber wir wissen schon lange, dass staatlicher Rassismus in dieser kapitalistischen Gesellschaft unsere Leben bedroht.

Achidi John, Laye-Alama Condé, Oury Jalloh, Christy Schwundeck, Mareame Ndeye Sarr, Hussam Fadl, Matiullah J., Amad Ahmad, Yaya Jabbi, William Tonou- Mbobda, Mohamed Idrisse, Georgios Zantiotis sind nur einige Namen von so viel mehr Opfern der Gewalt durch die Polizei!

Die Liste ist sehr lang. Aktuell wissen wir laut der Kampagne Death in Custody von 209 Todesfällen von Schwarzen Menschen, People of Color und von Rassismus betroffenen Personen in Gewahrsam und durch Polizeigewalt in Deutschland seit 1990 (Stand: 15. März 2022). Es ist von mehr Fällen auszugehen.

Denn es fordert viele Ressourcen, finanzielle, emotionale und viel Mut auch von Hinterbliebenen und Angehörigen gegen die Polizei und ihr Handeln vorzugehen.

Am Ende riskieren Opfer, wie auch Angehörige und Hinterbliebene dabei selbst durch die Polizei und Medien kriminalisiert zu werden, durch eine gezielte Täter-Opfer- Umkehr, wie es beispielsweise auch die Familien der Opfer des sogenannten NSU erfahren haben.

Nach den Morden so vieler besonders Schwarzer migrantischer Menschen, Menschen of Color, Migrant*innen und Geflüchteten, den Tötungen in Polizeigewahrsam und den rassistischen Gewalteskalationen von Seiten der Polizei, nach unendlich vielen sogenannten angeblichen Ermittlungsfehlern, Versäumnissen und Untätigkeit der Polizei, wenn es um rechten Terror und Rassismus innerhalb und außerhalb der eigenen Reihen geht, nach Täter-Opfer-Umkehr, oft begründet durch angebliche Notwehr, nach der ständigen Kriminalisierung und Brutalisierung unserer Communities, besonders migrantischer Arbeiter*innen und Geflüchteten, ist es endlich an der Zeit, dass wir uns bundesweit stärker organisieren, denn die Polizei wird uns niemals schützen!!!

Die Muster wiederholen sich auch hier in Mannheim, eine migrantische Person, die psychisch verletzlich ist, wird von der Polizei brutal festgehalten, mit Pfefferspray besprüht, und geschlagen, auf den Kopf, mehrmals.

In unserer Arbeit erleben wir immer wieder, wie migrantische und geflüchtete Menschen, die Unterstützung brauchen, manchmal sogar häusliche und sexualisierte Gewalt erfahren, als Täter*innen kriminalisiert und misshandelt werden. Das zieht sich von der Polizei bis in die Justiz!

Oft erhalten auch ihre Familien keine staatliche Unterstützung, sondern werden vielmehr alleine gelassen mit ihrer Trauer, der Forderung nach Aufklärung, Gerechtigkeit und Unterstützung!

Unsere Kinder und Jugendliche werden von der Polizei schikaniert und von dieser Gesellschaft kriminalisiert!

Auch hier in Mannheim finden täglich rassistische Polizeikontrollen in der Innenstadt und am Neckarufer statt.

Roma und geflüchtete Menschen wird systematisch der Zugang zu dieser Gesellschaft verwehrt, die Grenze wird durch die Polizei markiert, wie sich auch jüngst wieder an dem Umgang gegenüber Sinti*zze und Rom*nja, die aus der Ukraine geflüchtet sind, am Mannheimer Hauptbahnhof gezeigt hat.

Auch diese Fälle belegen wieder, was etliche Aktivist*innen und Initiativen wie auch wir schon lange sagen! Die Polizei, eine Institution, die in der rassistisch kapitalistischen Gesellschaft die Aufgabe hat die Eigentumsordnung sowie die Ausbeutungslogik aufrechtzuerhalten, bedeutet für viele von uns nicht Schutz und Sicherheit, sondern Gefahr und Gewalt!

Durch den institutionellen Rassismus in der Polizei kann Rechtsextremismus gedeihen, wie wir an dem Fall des NSU 2.0 schmerzlich sehen müssen.

Statt dieser Gewalt zu begegnen, werden seit Jahren polizeiliche Befugnisse ausgebaut, Polizeigesetze ausgeweitet, zivilgesellschaftliche und demokratische Kontrolle der Polizei weiter abgebaut. Die Einrichtung von CCTV Kameras, der sogenannte Mannheimer Weg 2.0, sind dafür weitere Beispiele.

Das ALLES MUSS aufhören!

Die Polizei ist eine Lebensbedrohung für viele, besonders arme und geflüchtete Schwarze Menschen, People of Color, für migrantische Menschen, für wohnungslose Menschen, für arme Menschen, für migrantisierte Sexarbeiter*innen, für von der Gesellschaft behinderte Menschen und Menschen, die psychisch verletzlich sind. Immer und immer wieder!

Das ist für uns keine Sicherheit, sondern Bedrohung!

Unsere Arbeit setzt nicht an der Kriminalisierung von Individuen an, die in mentalen Krisensituationen sind oder von der Gesellschaft ökonomisch und politisch abgedrängt wurden, sondern wir nehmen die gesellschaftlichen Verhältnisse in den Blick, die diese Probleme erst produzieren!!!

Was unsere Communities brauchen sind Wohnungen, die wir uns leisten können, gesundheitliche Versorgung und Unterstützung zu der alle Zugang haben sollten, und das meint nicht repressive Gesundheitssysteme und geschlossene Psychiatrien, sondern ein Recht auf würdige und gut entlohnte Arbeit, Zugang zu diskriminierungsfreier Bildung, Perspektiven für unsere Kinder und Jugendliche, Bewegungsfreiheit statt Kriminalisierung, mörderische Grenzen und willkürliche, rassistische Polizei!

Deshalb fordern wir:

Lückenlose Aufklärung, Gerechtigkeit und Konsequenzen des Falles um den Mann hier in Mannheim sowie allen weiteren Fällen der Tode in Polizeigewahrsam! Und Reparationen und Unterstützung für die Angehörigen und Trauernden!

EIN ENDE ALLER RASSISTISCHEN POLIZEIKONTROLLEN und der Ersatzfreiheitsstrafe!

EINE SYSTEMATISCHE AUSEINANDERSETZUNG MIT DEM INSTITUTIONELLEN UND ALLTÄGLICHEN RASSISMUS IN DER POLIZEI, DER JUSTIZ UND ANDEREN STAATLICHEN BEHÖRDEN

SYSTEMATISCHEN ENTZUG VON RESSOURCEN UND BEFUGNISSEN DER POLIZEI und Ausbau der radikalen demokratischen Strukturen, die unsere communities unterstützen statt sie weiter zu kriminalisieren, auszubeuten und zu töten!

Lasst uns gemeinsam den rassistischen Alltag bekämpfen.

Beobachtet die Polizei kritisch und wenn ihr rassistische Kontrollen beobachtet oder glaubt zu beobachten, schaut hin, dokumentiert es und bietet, wenn es euch möglich ist, euren support an. Bringt euch nicht in Gefahr, aber seht hin.

Wir müssen uns füreinander einsetzen und aufeinander aufpassen!

Es wird niemand sonst tun!

Bildet Banden, we look out for each other!

No Justice, no Peace, Abolish the Police!