Solidarität mit den Betroffenen des NSU 2.0

Unser Redebeitrag auf der Kundgebung von Kein Schlussstrich & friendz am 20.07.2020

Mal wieder haben wir uns heute hier versammelt, um gegen Rassismus und rechte Strukturen in der Polizei zu demonstrieren. Ich stehe hier heute als Teil von copwatch ffm, die sich seit Jahren gegen rassistische Polizeigewalt und -Kontrollen einsetzen. Aber ich stehe hier auch erneut als migrantisierte Einzelperson, die kein Bock mehr auf die ständige, rassistische Schikane der Polizei hat.

Letztes Wochenende berichtet die Hessenschau von Hunderten, die am Opernplatz gegen die Polizei randalierten. Die Polizei hält es für wichtig die Hintergründe der Festgenommenen zu recherchieren als „Stammbaumforschung“. In der Presse wird von „einem erheblichen Teil mit Migrationshintergrund“ gesprochen. Doch für die Polizei gab es für den Aufruhr keinen erkennbaren Grund. Zeitgleich erreicht uns über Twitter, wie so oft, eine Aufnahme von rassistischen Kontrollen am Hauptbahnhof in derselben Nacht. Aber für die Polizei gibt es für unseren Frust, keinen erkennbaren Grund. Seit Jahren erheben wir unsere Stimmen so laut wir können gegen Rassismus und rechte Strukturen in der Polizei. In den letzten Monaten wurden unsere Stimmen dann scheinbar auch endlich mehr gehört. Aber die Polizei sieht keinen erkennbaren Grund?!

Besonders jetzt, in Zeiten von Corona, wird sichtbar wie stark die Polizeikontrollen von Bezirk zu Bezirk in ihrer Intensität, Präsenz und Gewalt variieren. Sogenannte gefährliche Orte werden von der Rassifizierung der Menschen, die in diesen Bezirken leben und sich aufhalten, bestimmt und sind kein Zufall.

Es reicht! Der Rücktritt vom Polizeipräsidenten Münch ist nicht genug. Und ein Rücktritt löst auch keine Probleme. Das Problem heißt Rassismus. Und wenn es eine Verweigerung gibt dieses Wort überhaupt in den Mund zu nehmen, dann gibt es auch keine Aussicht auf Besserung. Der Rücktritt von Innenminister Beuth wäre zumindest symbolisch das Mindeste.

Wir brauchen keine Polizei, die migrantische Menschen, BIPoCs, Romn*ja und/oder arme Menschen nicht schützt, sondern kriminalisiert, schikaniert und tötet! 

Dass die Polizist*innen des selbsternannten „NSU 2.0“ Polizeicomputer zum Verschicken von Morddrohungen benutzen, ist nichts Neues! Wir standen schon einmal genau hier. Ganz genau hier vorne als die Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız mehrfach Morddrohungen erhielt. Als die Polizei ihr einfach riet sich zu bewaffnen, als damit gedroht wurde ihrer Tochter was an zu tun, statt ernsthafte Konsequenzen einzuleiten. Statt die Polizist*innen, die hinter dem „NSU 2.0“ stehen zu entlarven, zu bestrafen und zu entlassen.  Statt Mutter und Tochter ihr Recht auf Sicherheit zu gewährleisten und damit eine Stimme gegen Rechts zu präsentieren, wurde rein gar nichts unternommen. Nichts. Und jetzt häufen sich die Morddrohungen und Drohschreiben. Idil Baydar, Hengameh Yaghoobifarah, Majbritt Ilner, Deniz Yücel, Janine Wissler, Helin Evrim Sommer, Martina Renner, Anne Helm, Jutta Ditfurth und bedrohlicher Weise erweitert sich täglich die Liste mit noch weiteren Namen. Fast 2 Jahre nachdem wir das erste Mal vom „NSU 2.0“ hörten, ist es immer noch möglich, dass dieser weiter hin Menschenleben bedroht?!

Wir von copwatch ffm sprechen unsere uneingeschränkte Solidarität mit allen aus, die Drohungen von diesem rechten Netzwerk erhalten haben! Und wir plädieren stark dafür, dass alles daran getan wird, dass keine weiteren Menschen bedroht werden und ihre Unversehrtheit gesichert wird! Der Rücktritt vom Polizeipräsidenten Münch reicht nicht! Es müssen ernsthafte Konsequenzen eingeleitet werden, um die Struktur selbst zu verändern. Wenn die polizeilichen Strukturen ein Nährboden schaffen für sexistisches, transfeindliches, rassistisches und rechtes Gedankengut, dann ist etwas mit dieser Institution fundamental falsch!!

Die Polizei sah letztes Wochenende bei den Randalen am Opernplatz, keinen Grund. In den Medien wird von erschüttertem Vertrauen in die Polizei gesprochen. Horst Seehofer hält eine Studie zu Rassismus in der Polizei für unnötig, während wir versuchen mit der Dokumentation der sich häufenden Fälle hinterherzukommen. Migrantische und nicht-weiße Menschen sind in Großenteilen mit diesem Mistrauen in die Polizei aufgewachsen! Unser Freund und Helfer ist die Polizei nicht und war es auch nie!

Daher überrascht uns der aktuelle Skandal um die Aufdeckung rechter Netzwerke innerhalb der hessischen Polizei trauriger Weise nicht. Es war nur eine Frage der Zeit, bis der strukturelle Rassismus und die Verflechtungen von Polizei und organisierten Rechtsradikalen und Rechtsterrorist*innen wieder in den Blick der Öffentlichkeit treten würden. Sei es das erste Revier in Frankfurt, das im Zusammenhang mit den als „NSU 2.0.“ unterzeichneten Drohbriefen steht. Sei es das als „Hannibals Schattenarmee“ bezeichnete rechtsterroristische Netzwerk in der Bundeswehr. Sei es der NSU-Komplex, der den Verfassungsschutz und andere staatliche Behörden geradezu durchdringt. Seien es die zahlreichen, nicht aufgearbeiteten Morde von Polizist*innen – all dies verweist auf den institutionell tief verankerten Rassismus & die Verharmlosung rechter Gewalt im Deutschland des 21. Jahrhunderts. Und leider betrifft es nicht nur den Staat sondern auch weite Teil der Zivilgesellschaft, die wegguckt, verharmlost oder sogar ebenso bei diesen Rassismus und Rechtsextremismus mitmacht.

Wir fordern:

  • lückenlose Aufklärung des NSU und des NSU 2.0
  • Rücktritt von Innenminister Beuth
  • Rücktritt von Horst Seehofer
  • Ein Ende aller rassistischen Polizeikontrollen
  • Eine systematische Auseinandersetzung mit dem institutionellen und alltäglichen Rassismus in der Polizei, der Justiz und anderen stattlichen Behörden
  • Die Einführung unabhängiger Untersuchungs- und Kontrollstellen, die von den betroffenen Communities koordiniert werden

Wir fordern außerdem die Zivilgesellschaft auf:

  • Gemeinsam Verantwortung zu übernehmen und gemeinsam Rassismus anzugreifen
  • Die Polizei kritisch zu beobachten und sich rassistischen Handlungen entgegenzustellen – ob im Stadtteil, in der Bahn, auf der Straße, in der Schule oder am Arbeitsplatz.

Lasst und gemeinsam den rassistischen Alltag bekämpfen, indem wir aufeinander achten und solidarisch miteinander sind!

WE LOOK OUT FOR EACH OTHER!