Stellungnahme – Rassistischer Übergriff in Mannheim

Stellungnahme von copwatchffm zu einem rassistischen Übergriff an einem Minderjährigen in Mannheim

Ein siebzehnjähriger Mannheimer wird von einer Gruppe Polizist*innen massiv körperlich misshandelt und rassistisch beleidigt. Mitten in der Nacht entlässt die Polizei den minderjährigen Jungen mit einer Gehirnerschütterung ohne die Eltern zu verständigen.

In den letzten Tagen kursierte ein verstörendes Videos der brutalen Misshandlungen eines Schwarzen Mannes durch Berliner Polizisten am Berliner Kottbusser Tor durch das Netz. „Das ist Deutschland und nicht die USA!“, kommentierten viele den Vorfall. Als Copwatch Frankfurt begegnen uns solche Geschichten jedoch häufiger. Brutale Polizeigewalt ist in Deutschland weitaus alltäglicher als viele wahrhaben wollen.

Selten erfährt sie soviel Aufmerksamkeit durch eine kritische Öffentlichkeit wie aktuell im Berliner Fall. Die meisten rassistisch motivierten Übergriffe durch Polizist*innen finden unbeachtet in der Öffentlichkeit statt. Dies zeigt ein aktueller Fall aus Mannheim:

Während der siebzehnjährige Aram P. (Name geändert) von fünf Polizisten brutal misshandelt wurde, ging das Nachtleben an einer lauen Mannheimer Sommernacht für die umherstehenden Passant*innen weiter als wäre nichts geschehen. Selbst Arams Freunde griffen nicht ein, standen sprach- und hilflos neben den prügelnden Polizist*innen. Arams Fall zeigt wie alltäglich rassistische Polizeigewalt ist und wie folgenreich diese Übergriffe für den Alltag der Betroffenen sind.

Als Einziger festgenommen und während der Festnahme misshandelt

Aram P. war in der Nacht von Freitag auf Samstag, den 11.08.2018 mit Freund*innen im Jungbusch unterwegs, eine Sommernacht in einem beliebten Mannheimer Ausgehviertel. Aram steht zwischen seinen Freunden als er plötzlich von mehreren Polizeibeamten herausgegriffen und zu Boden gerungen wird. „Die sind gezielt auf mich, den einzigen Schwarzkopf in der Gruppe, gegangen“, erzählt der 17-Jährige. Innerhalb von Sekunden knien fünf Beamte auf seinen Armen und Beinen und schlagen seinen Kopf mehrfach auf den Boden. „Ich hab schon gemerkt: Die wollen mir weh tun. Und ich hab Worte wie ‚Kanake‘, ‚Penner‘ und sowas gehört.“ Zehn weitere Polizeibeamte bilden einen Kreis um die fünf Polizist*innen, die Aram misshandeln, und versuchen so den Umherstehenden die Sicht auf das Geschehen zu verbergen. Trotzdem filmen die anwesenden Freund*innen den Polizeiangriff mit dem Handy, um Beweise zu sammeln. Die Polizeibeamten unterbinden dies wiederum, indem sie den Filmenden Anzeigen androhen und zwingen sie, die Videos zu löschen und die Geräte auszuschalten. Das Ganze spielt sich innerhalb weniger Minuten ab. Aram wird schließlich in Handschellen gelegt und im Streifenwagen auf die Polizeiwache H4 gebracht. Erst dort teilt man ihm mit, dass er wegen Beleidigung festgenommen wurde. Ihm wird vorgeworfen, er habe bei einem Polizeieinsatz, der kurz vorher im Jungbusch stattgefunden hatte, „ACAB“, die Abkürzung des amerikanischen Spruchs „all cops are bastards“, gerufen.

Unterlassene Fürsorgepflicht an einem Minderjährigen

Ihre Fürsorgepflicht gegenüber einem siebzehnjährigen Schüler nahm die Polizei in grob fahrlässiger Weise nicht wahr. Nach einer Stunde entlassen sie den jungen Mann, der von der Festnahme Prellungen und eine Gehirnerschütterung davongetragen hat, ohne die Eltern zu informieren und ohne eine medizinische Versorgung zu veranlassen. Mit einem während des Übergriffs komplett zerrissenem T-Shirt kommt der Siebzehnjährige aus der Wache heraus. „Ich bin erstmal orientierungslos herumgelaufen. Hab mich zweimal übergeben. Dann hab ich irgendwann meine Freunde angerufen und bin zu denen zurückgegangen“, erzählt Aram. Bis heute spürt er die Nachwirkungen der Gehirnerschütterung, vor allem aber des traumatischen Erlebnisses. Es fällt ihm schwer von dem Vorfall zu erzählen.

Aram wird abends als einzige Person of Color aus einer Gruppe Jugendlicher herausgeholt. Seine Hautfarbe, sein Geschlecht und sein Alter genügen, um ihn verdächtig erscheinen zu lassen. Dies ist ein klassischer Fall rassistischer Polizeikontrollen. Im Verlauf der Überprüfung verhält sich die Polizei ihm gegenüber respektlos und wird grundlos gewalttätig. Die Situation eskaliert ohne Arams Zutun. Die anderen Polizist*innen greifen in dieser Situation nicht mäßigend ein, vielmehr stellen Sie sich schützend vor ihre Kollegen. Freunde und Passanten lassen den Jungen alleine und zeigen keinerlei Zivilcourage.

Beamte der Polizeiwache H4 für rassistische Gewalt bekannt

Dieser Vorfall scheint kein Einzelfall zu sein. Die Wache H4 ist in den migrantischen und Schwarzen Communities Mannheims bekannt für rassistische Polizeigewalt. „Jeder Schwarzkopf hier in Mannheim kann dir ein rassistisches Erlebnis im Zusammenhang mit der Wache H4 erzählen“, erklärt ein Mannheimer mittleren Alters, mit dem wir über den Vorfall ins Gespräch kommen. Die Häufung solcher rassistischer Übergriffe wurde bisher von der Öffentlichkeit und den politischen Entscheidungsträgern ignoriert bzw. hat keinerlei sichtbare Konsequenzen nach sich gezogen.

Rassistische Kommentare bei der Behandlung im Krankenhaus

Aram geht am nächsten Vormittag gemeinsam mit seiner Schwester zum Arzt. Er muss sich ständig übergeben und die Familie vermutet eine Gehirnerschütterung. Beim Arzt erwähnen sie nicht, dass die Verletzungen von Polizeibeamten zugefügt wurden und suchen einfach eine ärztliche Behandlung. Der behandelnde Arzt empfängt die Familie mit einer ganzen Reihe rassistischer Vorurteile, und so ist Aram nach der schmerzhaften Erfahrung der Polizeigewalt nun auch noch dem Klischee des sich prügelnden Ausländers ausgesetzt. Auch das mehrfache Übergeben erklärt der Arzt zunächst mit extremem Alkoholkonsum. Die vielfältigen Symptome einer Gehirnerschütterung ignoriert er zunächst und rät auch von einem Krankenhausaufenthalt ab.

Nach einem traumatischen Erlebnis trifft Aram bei dem behandelnden Arzt auf rassistische Ressentiments, wird nicht ernst genommen und nur nachlässig behandelt. Aram fühlt sich eher abgewimmelt als richtig behandelt. Eine Erfahrung, die er mit vielen Migrantinnen und Menschen of Color teilt, sie werden von Ärzten und Sozialarbeitern nicht ernst genommen und erfahren in einer traumatischen Situation zusätzliche Gewalt aufgrund rassistischer Vorstellungen.

Isolierung der Betroffenen und fehlende Zivilcourage – Passanten spielen während des Polizeiübergriffs wenige Meter entfernt weiter Gitarre

Das schlimmste an dem Vorfall, beklagt Aram, sei die fehlende Zivilcourage seiner Mitmenschen. Dies würde ihn genauso schmerzen, wie die rassistische Gewalt der Polizei. „Als das ganze passiert ist, hat das ja niemanden gejuckt. Ein paar Meter weiter saß eine Gruppe von Leuten, die haben einfach weiter Gitarre gespielt, als ob nix wäre“.

Auch dies ist ein schmerzhaftes Nachwirken rassistischer Polizeikontrollen und Erfahrungen von Gewalt durch die Polizei. Betroffene fühlen sich isoliert, sie sind enttäuscht von Freunden und Mitmenschen. Denn während die einen solche Erlebnisse nur zu gut kennen, haben viele Deutsche ohne Migrations- oder Minderheitenerfahrung keine Vorstellung von Rassismus und lassen die Betroffenen in der Notsituation alleine, schenken ihnen kein Gehör oder unterstellen sogar Mitschuld. Hier gilt es, Möglichkeiten umsichtiger Zivilcourage sichtbar zu machem, um und bei polizeilicher Willkür als kritische Öffentlichkeit agieren zu können.

Die Freitagnacht im August wird Aram noch lange in Erinnerung bleiben. Und dennoch will er sich nicht einschüchtern lassen. Aram und seine Familie wollen die erschreckende Normalität rassistischer Polizeigewalt nicht weiter hinnehmen.

Copwatchffm untersucht, betreut und unterstützt seit zwei Jahren Opfer rassistischer Polizeigewalt.

Gemeinsam mit den Betroffenen fordern wir:

• eine unabhängige Aufklärung und politische Untersuchung des Falles.

• eine Auseinandersetzung der Mannheimer Öffentlichkeit und Zivilgesellschaft mit dem Fall: Es ist für eine Stadtgesellschaft nicht tragbar, dass ein Minderjähriger von fünf Polizeibeamten in der Öffentlichkeit so misshandelt wird und die Umstehenden wegsehen.

• Racial Profiling zu benennen und wiederholte rassistische Polizeipraxis zu kritisieren. Es gilt deeskalative Interventionsstrategien zu verbreiten, die Gesellschaft zu sensibilisieren und Betroffene zu unterstützen.

• Auf Bundesebene fordern wir eine sofortige Abschaffung des Paragraphen 22
 Absatz 1a des Bundespolizeigesetzes, der Racial Profiling möglich macht, sowie der Regelungen zu sogenannten
 „gefährlichen Orten“.

• die Einführung unabhängiger Untersuchungs- und Kontrollinstanzen der Polizei.

We look out for each other!