Erster Jahrestag der Tötung eines Menschen in psychischer Ausnahmesituation durch die Frankfurter Polizei am Sachsenhäuser Mainufer
Am 30. Januar 2025 jährt sich die Tötung eines 40-jährigen Menschen mit argentinisch-spanischer Staatsbürgerschaft in Frankfurt-Sachsenhausen durch Beamte der Frankfurter Polizei.
Zuvor hatte er Medienberichten zufolge zwei Frauen mit einem Messer angegriffen und eine von beiden verletzt. Beide Frauen konnten sich nach dem Angriff glücklicherweise in Richtung eines Hotels retten. Dennoch machten nach Eintreffen der Polizei gleich drei (!) Beamte auf offener Straße von ihrer Schusswaffe Gebrauch. Dabei wurde der 40-Jährige so am Oberkörper getroffen, dass er kurz darauf verstarb.
Keine Aufklärung der Ermittlungsbehörden
Erst nach 4 Wochen wurde ein vorläufiger Obduktionsbericht durch die Frankfurter Staatsanwaltschaft veröffentlicht. Ob der Staatsanwaltschaft ein endgültiger Obduktionsbericht vorliegt und, falls ja, warum er der Öffentlichkeit vorenthalten wird, ist uns nicht bekannt.
Abgesehen von der gemeinsamen Presseerklärung der Frankfurter Staatsanwaltschaft und des Hessischen Landeskriminalamts am Folgetag der Tötung gab es bis heute in Frankfurt keine weitere Auskünfte.
Trotz der Tatsache, dass den tödlichen Schüssen eine Bedrohungssituation von Frauen voraus ging und trotz der intensiv geführten Debatte um Feminizide, wird in der genannten Presseerklärung behauptet, dass die Frauen „wahllos ausgewählt“ worden sein. Sowohl in diesem Fall als auch im Fall von Biriq (Amin F.) wurde die Polizei in Folge einer Bedrohung von Frauen gerufen. In beiden Fällen hatten sich die Frauen bereits in Sicherheit gebracht, bevor die Polizei eintraf. Trotzdem machte sie von ihren Schusswaffen Gebrauch und tötete. Bei diesen Schüssen ging es nicht darum, die angegriffenen Frauen zu schützen. Biriq wurde sogar nach Entschärfung der unmittelbaren Bedrohungssituation und ohne vorhergehende Ansprache im Schlaf überrascht. Obwohl selbst Polizeiexpert*innen den SEK-Einsatz 2022 als „untypisch“ und „unverhältnismäßig“ kritisieren, meinte der damalige Innenminister Beuth nach der Tötung von Biriq behaupten zu müssen, dass es keine rassistischen Anzeichen beim Vorgehen der Polizei gegeben habe. Sowohl im Fall von Biriq als auch bei der Person aus Sachsenhausen bleiben die Ermittlungsbehörden der Öffentlichkeit eine konsequente Aufklärung schuldig.
Zivilgesellschaftliche Versuche der Aufklärung
Bereits letztes Jahr veröffentlichten wir eine Stellungnahme mit Fragen sowohl an die Justiz als auch zum Umgang mit Menschen in psychischen Krisensituationen und dem psychiatrischen Versorgungssystem in Frankfurt. Der in Sachsenhausen Erschossene lebte nämlich in einer „Einrichtung für Menschen mit psychischen Einschränkungen“. Wir forderten Aufklärung. Es kam auch über die LINKE zu einer parlamentarischen Anfrage an den Magistrat der Stadt Frankfurt. Leider verweigern sowohl Staatsanwaltschaft als auch die städtischen Gremien wesentliche Auskünfte. Die gegebenen Antworten waren durchweg inhaltslos oder wiesen die Verantwortlichkeit ab.
Dabei nimmt die Notwendigkeit, sich mit Toten durch Polizeischüsse auseinanderzusetzen, nicht ab. 2024 ist das mit Abstand tödlichste Jahr seit langem, was Polizeischüsse angeht. Insgesamt 22 Personen wurden durch die Polizei getötet. Expert*innen schätzen, dass sich drei Viertel der Erschossenen in psychischen Ausnahmesituationen befanden. Sind die Menschen nicht weiß, steigt die Wahrscheinlichkeit, erschossen zu werden, noch einmal stark an.
Psychische Krisen im rassistischen Blick der Polizei
In Frankfurt kommt es immer wieder zu Fällen von tödlicher Polizeigewalt gegen von rassistischer Diskriminierung betroffene Menschen in psychischen Ausnahmesituationen. Beim bereits erwähnten Biriq F. wurde die psychische Ausnahmebelastung, in der er sich u.a. wegen dem Tod seiner Frau und seiner Mutter befand, vom Arzt nicht erkannt.1 Soner A. wurde am 22. Juni 2021 in seinem Wohnhaus in Frankfurt-Griesheim bei einem Polizeieinsatz getötet. Christy Schwundeck wurde am 19. Mai 2011 von einer Polizistin im Jobcenter Gallus erschossen, ohne dass ihre akute finanzielle und psychische Not ernst genommen wurde. In allen drei Fällen erwecken die Darstellungen von Zeug*innen, Medienberichten oder die Arbeit von kritischen Initiativen (z.B. des Solidaritätskreis Biriq) Zweifel an den Darstellungen der Polizei.
Wir gehen davon aus, dass auch das Verfahren wegen der Tötung des Menschen in Sachsenhausen eingestellt wird. Offizielle Daten zeigen, dass Verfahren gegen Polizist*innen fast immer eingestellt werden. Beispielsweise wurden im Jahr 2021 von 5.252 Verfahren bloß 61 vor einem Gericht verhandelt.2 Erfahrungsgemäß werden nach der Einstellungen auch keine Auskünfte mehr erteilt, da das Interesse an dem Fall schwindet. Kommt es doch zu Gerichtsverfahren, warten auf die Polizist*innen meistens Freisprüche. So wurden keine der beteiligten Polizist*innen für die Tötung von Mouhamed Lamine Dramé in Dortmund zur Rechenschaft gezogen.3
Polizeitote sind keine Einzelfälle. Auch und gerade in Frankfurt nicht. Sie sind die Spitze eines größeren Eisbergs an Leid, Bedrohung und Gewalt, die viele Frankfurter*innen, vor allem marginalisierte und mehrfach diskriminierte Menschen, erfahren. Deshalb werden wir nicht müde unsere Forderungen zu wiederholen:
1. Wir fordern endlich eine transparente Aufklärung der Umstände, die zu dem Tod des 40-Jährigen führen konnten. Wie uns das vergangene Jahr gezeigt hat, muss die Aufklärung durch eine unabhängige Stelle erfolgen.
2. Wir fordern einen Krisendienst, der rund um die Uhr erreichbar ist, als Teil einer gemeinwohlorientierten Gesundheitsversorgung. Derzeit trägt die Psychiatrie in Frankfurt und anderswo leider maßgeblich dazu bei, das Risiko von „psychischen Ausnahmesituationen“ zu erhöhen.
3. Wir fordern die Einrichtung eines spezialisierten Krisendienstes, der ausrücken kann, um Gefahrensituationen schnell und ohne Gewaltanwendung zu deeskalieren. Wir brauchen eine Alternative zur Polizei in diesen Situationen, da die eingesetzten Beamt*innen offenbar immer wieder überfordert sind und tödliche Gewalt anwenden.
4. Wir fordern entsprechende Konsequenzen, die dafür sorgen, dass sich solche „Einzelfälle“ endlich nicht mehr wiederholen! Wir fordern, dass dabei Betroffenen, Angehörigen, Selbstorganisationen und Selbsthilfe zugehört, ihren Erfahrungen geglaubt und sich an ihren Bedürfnissen und Einschätzungen orientiert wird. Konkret bedeutet das für uns: Weniger Befugnisse und weniger Waffen für die Polizei!
5. Wir fordern ein Ende patrichaler Gewalt. Bei patriachaler Gewalt muss der Schutz von Betroffenen im Vordergrund stehen und die Gewalt bekämpft werden, ohne tödliche Polizeigewalt zu rechtfertigen.
Frankfurter Forum für psychische Krisenbewältigung, copwatchffm und Solidaritätskreis Biriq (Amin Farah)
1 https://www.hessenschau.de/panorama/toedliche-polizeischuesse-in-frankfurt-fall-amin-farah-geht-weiter—bruder-legt-beschwerde-ein-v1,schuesse-bahnhofsviertel-104.html
2 https://de.statista.com/infografik/24691/anzahl-der-erledigten-ermittlungsverfahren-strafverfahren-gegen-polizeibedienstete/[https://de.statista.com/infografik/24691/anzahl-der-erledigten-ermittlungsverfahren-strafverfahren-gegen-polizeibedienstete/
3 https://justice4mouhamed.org/freisprueche-in-dortmund-keine-gerechtigkeit-fuer-mouhamed/